Die genetische Ausstattung einer Cannabispflanze ist der Bauplan, der ihre potenziellen Eigenschaften bestimmt: von der Wuchsform und Blütezeit über das Aroma- und Geschmacksprofil bis hin zur spezifischen Wirkung und dem Cannabinoidgehalt. Ein grundlegendes Verständnis der Genetik hilft dir, die richtigen Sorten für deine Anbauziele und -bedingungen auszuwählen und das Beste aus deinen Pflanzen herauszuholen.
In diesem Abschnitt beleuchten wir die Haupttypen von Cannabis, die verschiedenen Samentypen und die Bedeutung von Phänotypen bei der Selektion.
Traditionell wird Cannabis in verschiedene Unterarten oder Typen eingeteilt, die sich in Wuchs, Aussehen, Blütezeit und oft auch in der Wirkung unterscheiden. Für heutige hybride Varietäten gilt diese Kategorisierung als zu stark vereinfacht. Die tatsächliche Wirkung und das Aroma einer Pflanze werden durch ihr einzigartiges Chemotyp-Profil bestimmt – also die spezifische Kombination und Konzentration von Cannabinoiden (THC, CBD, CBG etc.) und Terpenen. Die meisten modernen Sorten sind komplexe Hybriden. Dennoch bieten die Begriffe eine erste Orientierung:
Cannabis Indica
- Herkunft: Trockene, gebirgige Regionen Zentralasiens und des indischen Subkontinents (z.B. Afghanistan, Pakistan, Nordindien).
- Wuchs: Typischerweise kürzer, buschiger, kompakter Wuchs mit breiten, dunkelgrünen Blättern und kürzeren Internodien. Robuste Pflanzen.
- Blütezeit: Oft kürzer, ca. 7-9 Wochen.
- Wirkung (traditionell): Entspannend, körperbetont, beruhigend ("stoned", "couch-lock", appetitanregend).
- Anbau: Relativ pflegeleicht, gut für Indoor-Anbau mit begrenzter Höhe geeignet.
Cannabis Sativa
- Herkunft: Äquatoriale Regionen (z.B. Thailand, Kolumbien, Mexiko, Teile Afrikas).
- Wuchs: Typischerweise höher, gestreckter, luftiger Wuchs mit schmalen, hellgrünen Blättern und längeren Internodien. Können sehr groß werden.
- Blütezeit: Oft länger, ca. 10-14 Wochen oder sogar mehr.
- Wirkung (traditionell): Zerebral, anregend, kreativitätsfördernd, energetisierend und euphorisch ("high").
- Anbau: Kann anspruchsvoller sein, benötigt mehr Platz in der Höhe und längere Anbauzyklen. Oft weniger anfällig für Schimmel in feuchten Umgebungen aufgrund der luftigeren Blütenstruktur.
Cannabis Hybrid
- Herkunft: Entstehen durch die Kreuzung von Indica- und Sativa-Genetiken (und manchmal auch Ruderalis). Die meisten modernen Cannabissorten sind Hybriden.
- Wuchs, Blütezeit, Wirkung: Variieren stark je nach genetischer Dominanz (Indica-dominant, Sativa-dominant oder ausgewogen). Züchter versuchen, die besten Eigenschaften der Elternlinien zu kombinieren.
- Anbau: Die Anbaueigenschaften sind sehr variabel und hängen von der spezifischen Kreuzung ab.
Cannabis Ruderalis
- Herkunft: Kältere Regionen Osteuropas und Zentralasiens.
- Wuchs: Klein, robust, wenig verzweigt.
- Besonderheit: Geht unabhängig vom Lichtzyklus nach einer bestimmten, kurzen Zeit (ca. 2-4 Wochen nach Keimung) automatisch in die Blüte (Autoflowering). Enthält von Natur aus wenig THC.
- Bedeutung: Wird primär in der Züchtung verwendet, um die Autoflowering-Eigenschaft in Indica- und Sativa-Hybriden einzukreuzen.
Hinweis zur Wirkung: Die traditionelle Einteilung Indica = beruhigend / Sativa = anregend ist eine starke Vereinfachung. Die tatsächliche Wirkung wird durch das komplexe Zusammenspiel vieler Cannabinoide und vor allem Terpene bestimmt (Entourage-Effekt).
Für den Heimanbauer sind hauptsächlich drei Arten von Samen relevant:
Reguläre Samen
Entstehen durch natürliche Bestäubung einer weiblichen durch eine männliche Pflanze. Produzieren ca. 50% männliche und 50% weibliche Nachkommen.
- Vorteile: Höchste genetische Stabilität und Vielfalt. Ideal für die "Phäno-Jagd" zur Selektion exzellenter Mutterpflanzen oder für eigene Züchtungsversuche. Oft robuster und geringeres Zwitterrisiko.
- Nachteile: Geschlechtsbestimmung notwendig. Männliche Pflanzen müssen entfernt werden, was den nutzbaren Ertrag pro Samen reduziert.
- Empfehlung: Für ambitionierte Grower und Züchter (siehe Die Harzlok-Rotation).
Feminisierte Samen
Werden durch spezielle Verfahren so erzeugt, dass sie mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit (ca. 99%) nur weibliche Pflanzen hervorbringen.
- Vorteile: Kein Aufwand für Geschlechtsbestimmung. Effiziente Nutzung des Anbauplatzes für Blütenproduktion.
- Nachteile: Geringere genetische Vielfalt. Können tendenziell etwas anfälliger für Stress und Zwitterbildung sein.
- Empfehlung: Sehr beliebt für reine Blütenproduktion, besonders für Einsteiger (siehe SOP Eins).
Autoflowering Samen (Selbstblüher)
Enthalten Ruderalis-Genetik und gehen unabhängig vom Lichtzyklus nach einer bestimmten Zeit automatisch in die Blüte.
- Vorteile: Schneller Lebenszyklus (oft nur 8-12 Wochen gesamt). Keine Lichtumstellung nötig. Oft kompakt, diskret. Qualität und Potenz moderner Sorten stark verbessert.
- Nachteile: Meist geringerer Ertrag als photoperiodische Sorten. Weniger Möglichkeiten für vegetatives Training. Stecklinge nicht sinnvoll.
- Empfehlung: Für schnelle Ergebnisse, begrenzte Bedingungen oder wenn keine Kontrolle über den Lichtzyklus gewünscht ist.
Selbst wenn du Samen derselben Sorte (Strain) von derselben Samenbank kaufst, wirst du feststellen, dass die einzelnen Pflanzen leicht unterschiedliche Eigenschaften aufweisen können. Diese individuellen Ausprägungen der genetischen Veranlagung nennt man Phänotypen.
Genotyp vs. Phänotyp
- Genotyp: Die gesamte genetische Information einer Pflanze, ihr "Bauplan".
- Phänotyp: Das tatsächliche Erscheinungsbild und die Eigenschaften einer Pflanze, die sich aus dem Zusammenspiel von Genotyp und Umwelteinflüssen ergeben.
Aus einer Packung Samen (besonders bei regulären Samen oder F1-Hybriden) können verschiedene Phänotypen wachsen, die sich in Wuchshöhe, Blattstruktur, Blütezeit, Harzproduktion, Aroma, Geschmack und Wirkung unterscheiden können.
Die "Phäno-Jagd" (Pheno Hunt)
Die Phäno-Jagd ist der Prozess, bei dem eine größere Anzahl von Samen einer Sorte angebaut und die einzelnen Pflanzen sorgfältig über ihren gesamten Lebenszyklus beobachtet und bewertet werden. Ziel ist es, ein oder mehrere Individuen ("Keeper") zu finden, die die gewünschten Eigenschaften in herausragender Weise kombinieren.
Kriterien für die Selektion eines "Keepers":
- Vitalität und Wuchskraft: Schnelles, gesundes Wachstum.
- Struktur: Gute Verzweigung, stabile Stängel, ideale Internodienabstände.
- Resistenz: Widerstandsfähigkeit gegen Schädlinge, Krankheiten und Umweltstress.
- Geringe Zwitterneigung.
- Blütezeit: Passend zu den Anbauzielen.
- Ertrag: Hohe Produktion von qualitativ hochwertigen Blüten.
- Harzproduktion: Dichte, zahlreiche Trichome.
- Aroma und Geschmack: Intensives, komplexes und angenehmes Terpenprofil.
- Wirkung: Entsprechend den gewünschten psychoaktiven oder therapeutischen Effekten.
Ein selektierter "Keeper"-Phänotyp kann dann als Mutterpflanze erhalten und über Stecklinge (Klone) immer wieder identisch vermehrt werden. Dies ist ein Kernprinzip der Harzlok-Rotation zur Sicherstellung konsistenter Premium-Qualität.